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Mein Flensburg - Erinnerungen an früher
Gerhard Lange (gelahh@gmx.net)
Ich wurde 1925 an der Schiffbrücke in Flensburg geboren. Doch bereits 1933 zogen meine Eltern, im Rahmen des Umzugs der Reederei Schuldt, mit meinem kleinen Bruder Harro und mir nach Hamburg, von wo aus ich nach dem Krieg (von der ganzen Familie alleine übrig geblieben) nach Übersee auswanderte. Inzwischen bin ich aber wieder in Deutschland und wohne in Hamburg.
Hamburg ist zwar die Stadt meiner mehr oder weniger bewußten Jugend, von den Stätten dieser Jugend war aber nach dem Ende des schrecklichen Krieges kaum noch etwas übriggeblieben. Ganz anders ist es da bei meiner Geburtsstadt, in der ich alle die für ein späteres Leben wichtigen ersten Impulse, wohl zum Teil noch unbewußt, in mir aufnahm. Hier kann ich eine ganze Anzahl von Stätten noch heute betrachten, die in mir Erinnerungen wachrufen und die bereits meinen Vorvätern etwas bedeuteten.
Nach Flensburg kam mein Urgroßvater als junger Mann in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts aus der Gegend nördlich von Apenrade, wo seine Vorväter (soweit ich in den Kirchenbüchern feststellen konnte) seit Generationen gelebt hatten. In Flensburg schaffte er es, Fuß zu fassen, so daß ihm bereits Mitte des Jahrhunderts (lt. Stadtarchiv) die Bürgerwürde zuerkannt wurde. Für uns heute nur schwer vorstellbar, wurde damals nur ein kleiner Teil, der in der Stadt wohnenden Bevölkerung, zu den sogenannten Bürgern gezählt.
In Flensburg steht nicht nur noch das Haus in dem ich geboren wurde, das ehemalige Bürogebäude der Reederei H. Schuldt, bei der mein Vater als Prokurist beschäftigt war. Dort stehen auch noch die Geburtshäuser meines Vaters (das Gebäude Ecke Linden Allee und Bauer Landstraße) und meines Großvaters (eines der eindrucksvollen alten Gebäude am Holm). In der Marienkirche wurde ich 1925 von dem gleichen Pastor getauft, der 27 Jahre früher bereits meinen Vater getauft hatte.
Im Haus an der Schiffbrücke Nr. 21 (neben Piet Henningsen) habe ich in meiner frühen Kindheit viele Stunden am Fenster unserer Wohnung im ersten Stock (der ursprünglichen Reeder-Wohnung) verbracht. Und was man damals von unseren Fenstern aus sehen konnte, war für einen kleinen Jungen sicherlich interessanter als das, was man dort heute sehen würde.
Da waren Frachtschiffe, die an der Schiffbrücke anlegten und deren Fracht mit Pferdefuhrwerken auf die vielen Lagerhäuser der Stadt verteilt wurde. Eines dieser Lagerhäuser lag im Hof des Nachbargrundstücks mit schmaler Einfahrt von der Norderstraße, zu der wir durch die beiden Höfe einen kurzen Weg hatten. Da sämtliche Geschäfte in der Norderstraße lagen, war das natürlich recht bequem.
Aber es gab ja nicht nur Frachtschiffe, sondern auch die Passagierschiffe der Fördereederei, von denen heute ja zum Glück wenigstens eines, die Alexandra, noch als Museumsdampfer existiert. Damals gab es eine ganze Anzahl, unter denen mein Lieblingsschiff die „Reiher“ war. Ich kannte sie alle gut genug, um sie von weitem an ihren unterschiedlichen Aufbauten zu erkennen. Manchmal kamen auch Schiffe aus Hamburg oder aus Dänemark nach Flensburg.
Fast jedes Jahr gab es damals Hochwasser, das manchmal bis in die Eingänge zu den Häusern reichte und während dessen Büromenschen huckepack von kräftigen Seeleuten in bis zur Brust reichenden Gummistiefeln zwecks Erledigung ihrer Abfertigungsarbeiten zu den Schiffen getragen wurden. Einmal war die Innenförde bzw. der Hafen auch zugefroren und ich kann einen Spaziergang mit Vater und Bruder von der Schiffbrücke über die Eisdecke bis zur Jürgensby-Seite erinnern.
Auf der Förde wasserte vor meinen Augen das größte deutsche Flugboot, die DO-X und von unserem Haus aus sah ich auch zwei der großen Zeppeline, mit denen Dr. Hugo Eckener eine große Runde über seiner Vaterstadt fuhr. In der Norderstraße erlebte ich den greisen Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg, unseren damaligen Reichspräsidenten, dessen Namen ich später aus vielen Lautsprechern zur Reichspräsidentenwahl 1932 wieder hörte. Die anderen Namen, Hitler und Thälmann, waren für mich neu. Ich merkte sie mir aber.
Was Ende der zwanziger Jahre noch besonders oder doch anders als heute war, ist natürlich die Sprache der Flensburger. Man hörte zwar nicht immerzu und überall: Ohauehaueha, was'n Mars/Aggewars. Aber fast sämtliche von Renate Delfs genannten Wörter waren doch damals im Gebrauch. Und das Besondere war der Tonfall, die Art wie man sprach. Das klang sehr melodisch mit einem ständigen „auf" und „ab" in der Stimme.
Dann gab es damals in Flensburg den „alten" und den „neuen" Bahnhof, die gelbe Postkutsche, mit der Pakete ausgeliefert wurden, und die „Elektrische" mit der Linie 4, die nach Glücksburg fuhr. Vormittags sah man oft Fischhändler mit Schottscher Karre durch die Straßen ziehen, die ihre Waren mit Schreien wie „Frische Hobkrab" oder „Frische Butt" anpriesen; Lumpenhändler sah man auch - gewöhnlich mit Blockwagen, die laut „Plünn, - - Plünn und Knoken" riefen, um altes Zeug oder Knochen zu sammeln. Und natürlich wußte damals jeder Flensburger, daß das Eis in der Marienstraße besser schmeckte als sonst irgendwo in der Stadt. Für Kinder noch interessant waren Spielzeuggeschäfte wie Schahberg(?) in der Großen Straße (glaube ich zu erinnern) oder die alte Frau Torius mit ihrem kleinen Laden in der Norderstraße, gegenüber von der Schloßstraße, und Max Horn in der Neustadt.
1931 wurde ich eingeschult, und zwar besuchte ich die St. Marien Knabenschule in der Schloßstraße. Es sind nur wenigen Namen, die ich aus dieser Zeit erinnern kann: z. B. Fritz Apel, Harald Grüner, Reinhard Meesenburg und Max Fertig (sein Leben und das seiner Familie endete - wie ich erfuhr - in einem Konzentrationslager - sie waren Juden), unser Lehrer war Herr Brandenburg. Von den andern Mitschülern werden sicherlich auch einige die schlimmen 12 Jahre nicht überlebt haben, die anderen - wenn sie noch leben - sind jetzt ebenfalls über 80.
Diejenigen, die gerne noch mehr wissen möchten, z.B. meine Lebenserinnerungen (Flensburg und Hamburg vor dem Krieg, Auswanderung nach Australien und nach Südafrika usw. usw.) oder meine in den letzten zehn Jahren aus den Erfahrungen und Einsichten eines langen Lebens geschriebenen Kurzgeschichten und Verse lesen möchten, verweise ich auf meine Homepage (www.gelahh.de/).
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